Die Wiederentdeckung der einfachen Dinge
Wie das eigentlich alles angefangen hat? Ich habe mich das oft gefragt, wie es dazu kam, dass scheinbar unscheinbare Dinge in unserer Familie nach und nach wieder an Aufmerksamkeit und Wertschätzung gewonnen haben. So viel Wahlmöglichkeiten als sechsköpfige Familie hat man nicht im Alltag. Man muss einfach gut durchorganisiert sein: Hier den Großen zum Sport bringen, dort noch schnell Einkaufen und dann nach Möglichkeit von unterwegs telefonieren, um zu vereinbaren, wie das mit dem Besuch am Wochenende aussieht. Ein fester Tagesablauf mit vielen Schauplätzen. Beruflich als Selbständiger zu arbeiten und eine Agentur zu leiten, bringt noch mehr Verpflichtungen: Abgabetermine, Absprachen, Planungen. Es lief irgendwie und meist immer gut. Doch wie das so ein paar Jahre nach dem Studium ist: Die Zeit verging wie im Flug und alles klappte wirklich wunderbar – und doch hatte ich nach und nach den Eindruck, dass jeder Tag nur noch vor Bildschirmen stattfand oder eben mit dem Smartphone in der Hand. Dabei machte das das Leben nicht einfacher – im Gegenteil. Umso mehr man organisierte und managte, umso kleinteiliger und komplizierter wurde alles. Alles komplett ändern? Dreimal im Jahr eine Auszeit machen?
Alles komplett ändern? Dreimal im Jahr eine Auszeit machen?
Umso öfter stellte ich mir die Frage, was ich den eigentlich brauche, um gut zu leben. Oder was ich anders machen sollte.
„Irgendwie muss ich mein Leben ändern.“ – Nicht nur in Filmen ist mir dieser Satz schon häufiger begegnet; vielleicht habe ich ihn auch schon selbst gesprochen. Aber was ist das schon, „das Leben“? Das klingt wichtig (und ist es auch), aber wo beginnen? Die amerikanische Autorin Annie Dillard hat eine Art Antwort darauf formuliert: „So wie du deine Tage verbringst, so verbringst du dein Leben.“ Als ich den Satz zum ersten Mal gelesen habe, hat er mir ganz schön Respekt gemacht: Weil alles auf einmal an Bedeutung gewinnt. Das Naheliegende, das unmittelbar Nächste, der Tag heute und morgen. Auch die Minute, die gerade läuft.
Zum Glück hat man dann Kinder und andere Menschen um sich, die einen so herrlich verunsichern und eben auf ihre Art auch mal fordern …
… etwa mit dem Wunsch, mal Marmelade zu kochen oder die Schreibmaschine auszuprobieren, die im Umzugskarton entdeckt wurde. Nicht jedes Mal war ich begeistert von jedem Einfall. Aber dann war ich doch froh, wenn ich mich auf so manche Unbequemlichkeit eingelassen hatte und nach Jahren wieder einmal einen Brief von Hand geschrieben habe – statt der raschen Textnachricht mit Autovervollständigung.
Vieles von dem, was ich und wir da wiederentdeckt haben, ist für meine Eltern und Großeltern ganz normal; für die Generation, zu der ich gehöre, aber schon weit weg. Mir wurde deutlich, wie schnell Wissen und Selbstverständlichkeiten aus dem Alltag verschwinden. Dabei waren sie teilweise über Jahrhunderte hinweg fester Bestandteil. Ich habe mich dabei gefragt: Was passiert da eigentlich, wenn wir einfache Dingen wieder Raum im Leben geben? Und: Warum halten sich manche Dinge, obwohl sie umständlicher oder eben alles andere als digital oder smart sind.
Außen und innen
Was mir immer klarer wurde: Die Gegenstände, mit denen wir uns umgeben und die wir täglich in den Blick und in die Hand nehmen, prägen uns mehr als wir zunächst glauben. So wie wir die Welt um uns gestalten, gestalten wir auch unser Innerstes. Deshalb ist es eben nicht egal, was wir den ganzen Tag machen – und wie. Es nicht egal, wie ich mit dem umgehe, was ich esse, was ich anziehe, welchen Themen und Geschichten ich Aufmerksamkeit schenke, wie viel Zeit ich mir für die Menschen nehme, die um mich herum leben. Weil alles, was ich nach außen tue, auch nach innen wirkt, also mich selbst betrifft. Und formt.
Unsere Welt ist mehr und mehr digital geprägt, Abläufe werden immer schneller und automatischer – und es sind großartige Möglichkeiten, die sich dadurch ergeben. Ich schätze all das sehr und arbeite ja auch selbst täglich mit an dieser digitalen Welt. Zugleich merke ich aber auch: Wenn das Leben komplett handhabbar geworden und alles verfügbar geworden ist, wird es seinen Zauber verlieren. Wie ein Gegenprogramm haben mir die einfachen Dinge gelehrt: Wir werden nie die Sehnsucht nach Gegenständen verlieren, die wir in die Hand nehmen können, die Präzision erfordern und Disziplin. Dinge, die uns fordern und manchmal auch umständlich und nicht komplett erklärbar sind – und gerade deshalb ihre Magie und Mystik entfalten.
Von solchen Dingen handelt dieses Buch. Es sind Fundstücke, die mir einfach so zufielen. Wenn sie mir so manch ruhigen Moment und die eine oder andere Klarheit im Leben gegeben habe, dann vielleicht auch Ihnen. Ich schenke sie gerne weiter.
Stefan Weigand
Wunder warten überall
Die Wiederentdeckung der einfachen Dinge
Um Stille zu erfahren, Klarheit zu finden und achtsam zu leben, braucht es nicht viel –
sondern nur das Richtige: Ein handgeschriebener Brief, ein Bleistift, der einen schon ein halbes Leben begleitet oder die selbstgemachte Marmelade, die an den Sommer erinnert. Es sind die einfachen Dinge, die uns neu das Wunder des Alltags erzählen, überall und an jeden Tag.
Hardcover mit Schutzumschlag, 144 Seiten, 17,2 x 20,2 cm
Durchgehend vierfarbig, mit Fotos
ISBN: 978-3-466-37257-7